Johann Hinrich Tönjes – Biographie

Johann Hinrich Tönjes wird am 25. Mai 1825 als erstes Kind von Christoph Tönjes und Gesche Margarete Tönjes auf dem Hof seines Großvaters Johann Peter Ernst Tönjes in Sandtange geboren. Er ist der ältere Bruder von Gerhard Tönjes und Diedrich Tönjes. Mit Johann Peter Ernst Tönjes hat er darüber hinaus noch einen älteren Halbbruder aus der ersten Ehe seines Vaters mit Anna Catharina Klostermann.

Fünf Tage vor Johann Hinrichs Geburt begründet der Fuhrunternehmer Simon Kremser in Berlin eine regelmäßige Pferdeomnibus-Linie, die vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg und zurück führt. Die exklusive Erlaubnis dafür hat Kremser von Preußens König Friedrich Wilhelm III. erhalten, und sie revolutioniert gleich auf mehrfache Art und Weise den öffentlichen Personennahverkehr. Erstens: Die Kutschen verkehren zu festen Abfahrtszeiten – egal, wie viele Personen an Bord sind. Davor ist es üblich, dass die Kutscher die Abfahrt so lange hinauszögern, bis sich auch für den letzten freien Platz ein Passagier gefunden hat. Zweitens: Es gelten einheitliche Fahrpreise. Drittens: Sowohl Kutsche als auch Kutscher sind nummeriert, so dass Fahrgäste im Falle von Unannehmlichkeiten gezielt Beschwerde erheben können. Viertens: Es gibt feste Benimmregeln für das Personal, bei Verstößen droht Entlassung. In Zeiten, in denen mitunter stark angetrunkene Kutscher Pferde malträtieren und Fahrgäste anpöbeln, ein echtes Unterscheidungsmerkmal zur Konkurrenz. Und schließlich fünftens: Fundsachen werden zentral eingesammelt und stehen im Büro der Gesellschaft zur Abholung bereit.

Ein weiterer Vorteil: Kremsers Kutschen besitzen eine Federung und ein Verdeck, die Fahrt mit ihnen ist somit deutlich komfortabler als mit herkömmlichen Fuhrwerken. Das neue Angebot wird deshalb von der Bevölkerung auf Anhieb gut angenommen, rasch bürgert sich für diese spezielle Kutschen-Art der Name ihres Konstrukteurs ein. „Mit’m Kremser int Jrüne“ wird in Berlin zum geflügelten Wort und steht für ein beliebtes Freizeit-Vergnügen des städtischen Bürgertums.

Für den Erfinder eine Lizenz zum Gelddrucken, sollte man meinen. Doch so zielsicher Kremser auch eine Marktlücke entdeckt und gefüllt hat, wirtschaftlich kommt er damit aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen auf keinen grünen Zweig. Schon nach zwei Jahren muss er sein Unternehmen an einen Konkurrenten verkaufen. Danach verliert sich vorübergehend seine Spur. Vor den Forderungen diverser Gläubiger aus Berlin geflohen, steht er zeitweise in Warschau in Diensten des russischen Staates, bevor er 1849 in seine schlesische Heimat zurückkehrt. Dort stirbt er zwei Jahre später. Weder in seinem Geburtsort Zülz noch in Berlin erinnert heute ein Denkmal an ihn. Geblieben sind neben der mit seinem Namen verbundenen Wortneuschöpfung lediglich Spekulationen, wie Kremser 1825 relativ rasch und unkompliziert an die Lizenz des Königs kommen konnte. Angeblich soll er während der Koalitionskriege mehrfach die preußische Kriegskasse vor den französischen Truppen gerettet und zudem 1814 die von Napoleon nach Paris entführte Quadriga des Brandenburger Tores zurück nach Berlin transportiert haben. Zweifelsfrei belegen lässt sich beides nicht.

Geht es um einen gemütlichen Ausflug ins Grüne, so sind heutzutage auch in Sandtange und der näheren Umgebung Kremserwagen durchaus noch ein Mittel der Wahl. Zur damaligen Zeit dürften die Dorfbewohner von der Bereicherung der Freizeit-Möglichkeiten im fernen Berlin allerdings kaum Notiz nehmen. Schon gar nicht in Johann Hinrichs Familie, die in den 1820er Jahren mehrere Schicksalsschläge hinnehmen muss. So hat Vater Christoph 1822 sowohl seine erste Ehefrau als auch den gemeinsamen Sohn – Johann Hinrichs Halbbruder Johann Peter Ernst – an den Tod verloren. Die nächste Schwangerschaft in der zweiten Ehe endet zudem im Februar 1828 mit einer Totgeburt.

Möglicherweise ist Letzteres einer der Auslöser für Christoph Tönjes, mit Ehefrau Gesche Margarete und dem dreijährigen Johann Hinrich Sandtange zu verlassen und sich in Hemmelsberg eine neue Existenz aufzubauen. Basis ist eine am Brandholzweg gelegene Landstelle, die nach dem Hausbau (heutige Eigentümer: Karin und Helga Claußen) zunächst noch kultiviert werden muss. Dort wächst die Familie um die weiteren Söhne Gerhard (Februar 1834) und Diedrich (April 1840).

Die für das Jahr 1832 anstehende Einschulung Johann Hinrichs gerät zum Politikum. Zuständig ist die Volksschule in Lintel, die jedoch knapp fünf Kilometer entfernt liegt – zwei Kilometer weiter als die Volksschule in Munderloh, die zudem über eine deutlich bessere Zuwegung verfügt. Deshalb stellt Vater Christoph den Recherchen des Oldenburger Hochschulprofessors Klaus Klattenhoff zufolge gleich zweimal (am 18. Januar und am 19. April) den Antrag, Johann Hinrich in Munderloh zur Schule schicken zu dürfen.

Ein Ansinnen, das der von den kirchlichen Entscheidungsträgern in Oldenburg um eine Stellungnahme gebetene Huder Pastor Diedrich Konrad Muhle nicht befürwortet. Es genüge ein Umweg von lediglich fünf Minuten, um das Schulhaus in Lintel trockenen Fußes zu erreichen, so Muhle. Zudem würden die Munderloher Kinder einzelne Mitschüler aus Hemmelsberg, die den Schulweg überdies alleine statt in Gruppen bewältigen müssten, als Auswärtige ansehen. Dementsprechend wird der Antrag abgelehnt. Eine Entscheidung, der sich Johann Hinrichs Vater mutmaßlich fügt. Johann Hinrich besucht also sehr wahrscheinlich vom Frühjahr 1832 an acht Jahre lang die Volksschule in Lintel, wo unter anderem Johann Dierk Hoffrogge, Peter Friedrich Ludwig Mumme, Gesina Margareta Reil und Anna Catharine von Seggern zu seinem Geburtsjahrgang gehören.

Über die damalige Größe des Tönjes-Hofes lässt sich nur spekulieren. Das dazugehörige Land urbar zu machen, erfordert jedoch viel Pionier-Arbeit, in die Johann Hinrich als ältester Sohn vermutlich sehr früh einbezogen wird. Grunderbe gemäß des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts ist allerdings Bruder Diedrich. Doch es kommt anders: Nach dem Tod von Mutter Gesche Margarete im Juni 1855 legt sich Vater Christoph auf Johann Hinrich als Hofnachfolger fest. Elf Jahre später, im Mai 1866, wandert Diedrich Tönjes in die USA aus. Der mittlere Bruder Gerhard Tönjes arbeitet derweil in der näheren Umgebung als Heuermann und Maurer.

Am 4. Februar 1853 heiratet Johann Hinrich Catharine Schwarting aus Hatterwüsting. Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor: Johann Christoph (September 1853) und Anna Gesine (September 1855). Sie wachsen in dritter Generation auf dem Tönjes-Hof auf, der aber in Johann Hinrichs Augen langfristig nur wenig Perspektiven zu bieten scheint. Geben dafür vielleicht Briefe seines ausgewanderten, seit 1868 in Nebraska lebenden Bruders den Ausschlag? Macht er sich deshalb selbst auf den Weg, um die Möglichkeiten jenseits des Atlantiks zu erkunden? Diese Lesart legt ein Eintrag auf der von der Oldenburgischen Gesellschaft für Familienkunde betriebenen Internetseite „Auswanderer aus dem Großherzogtum Oldenburg“ nahe. Ihm zufolge reist Johann Hinrich im Mai 1869 mit dem später im Ärmelkanal auf Grund gelaufenen Auswandererschiff „Deutschland“ von Bremen nach New York. Vier Jahre später holt er – offenbar überzeugt von einer besseren Zukunft in der Neuen Welt – Frau und Tochter nach, die in der Zwischenzeit den Verkauf des Hemmelsberger Hofes an Eilert Westing organisiert haben. Sohn Johann Christoph ist 1872 ebenfalls in die USA emigriert.

Innerhalb der Familie hingegen ist ein anderer zeitlicher Ablauf überliefert. Demnach kehrt zunächst Johann Christoph Deutschland den Rücken, um bei seinem Onkel Diedrich Tönjes zu arbeiten. Johann Hinrich, Catharine und Anna Gesine folgen ihm im September 1873 an Bord des frisch in Dienst gestellten Schiffes „Braunschweig“. Welche Version auch immer den Tatsachen entspricht: Fest steht, dass die drei Letztgenannten von 1873 an dauerhaft in den USA leben. Nach der Ankunft in Baltimore reist das Trio weiter zu Johann Christoph nach Dodge County in Nebraska. Kurz darauf kauft die Familie aus dem Bestand der Eisenbahngesellschaft Union Pacific für 960 US-Dollar 65 Hektar Land – Grundlage ihrer späteren, vier Meilen nordöstlich der Ortschaft Scribner gelegenen Farm. Diese bewirtschaften Johann Hinrich, Catharine und Johann Christoph fortan gemeinsam. Anna Gesine Tönjes wiederum heiratet 1878 in Hooper den neun Jahre zuvor in die USA ausgewanderten Tweelbäker Gerhard Rastede und verlässt spätestens da den elterlichen Haushalt.

Johann Christoph Tönjes heiratet am 10. Juli 1879 Catharine Sophie Stöver. Johann Hinrichs Schwiegertochter stammt ebenfalls aus Deutschland: Sie ist 1860 in Hatterwüsting geboren und erst im Juni 1878 mit ihren Eltern und einer jüngeren Schwester in den USA angekommen, wo bereits eine ältere Schwester und ein älterer Bruder leben. Ihre Mutter Anna Margarete Stöver – sie stirbt tragischerweise nur elf Tage nach der Überfahrt im Alter von 49 Jahren – ist die Zwillingsschwester von Catharine Tönjes. Beide Familien sind also bereits verwandtschaftlich miteinander verbunden.

Aus den Ehen ihrer beiden Kinder gehen für Johann Hinrich und Catharine zwischen 1879 und 1896 insgesamt 17 Enkelkinder hervor, von denen immerhin 14 das Erwachsenenalter erreichen. Keineswegs eine Selbstverständlichkeit: In den USA liegt die Kindersterblichkeit an der Schwelle zum 20. Jahrhundert nur unwesentlich niedriger als in den meisten europäischen Ländern. Viele Erwachsene sterben wie Anna Margarete Stöver ebenfalls früh. Darunter auch Anna Margaretes und Catharines jüngere, im Oldenburger Vorort Eversten verheiratete Schwester Gesche Margarete Fastje. Deren jüngster Sohn Heinrich Gerhard Fastje, beim Tod der Mutter erst zwei Jahre alt, kommt 1873 als Siebenjähriger zu seiner Tante nach Nebraska und wächst fortan auf der Tönjes-Farm auf. Dort bleibt er bis zu seinem Tod im November 1913.

Zu diesem Zeitpunkt ist Johann Hinrich längst im Ruhestand – und Witwer: Ehefrau Catharine ist im Juni 1905 im Alter von 76 Jahren gestorben. Johann Hinrich, inzwischen 88 Jahre alt, erfreut sich jedoch weiter guter Gesundheit. Seine letzten Lebensjahre werden überschattet vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in den die USA im Frühjahr 1917 an der Seite Frankreichs und Großbritanniens eintreten, sowie vom Tod von Tochter Anna Gesine im Dezember 1918.

Johann Hinrich stirbt am 1. August 1919, neun Wochen nach seinem 94. Geburtstag. Beerdigt ist er drei Tage später auf dem Friedhof der Saint Paul Lutheran Church in Hooper.